4291
Es
hat mich aus Berlin nach Düsseldorf verschlagen.
Ich
habe mich vertraglich LCL, einem großen, internationalen Modekonzern
verpflichtet.
Wenn
ich mit meinem eigenwilligen Stil bekannter werden will, brauche ich
entweder Eigenkapital oder die Maschinerie eines großen Labels im
Rücken.
Ersteres
habe ich nicht.
So
ganz gefällt es mir nicht, unter der Fahne dieses
Schicki-Micki-Hauses zu arbeiten, die unter Mode was ganz anderes
verstehen als ich.
Aber
der Boß von dem Laden war so wild drauf, mich zu kriegen, daß ich
mir vertraglich weitreichende Freiheiten zusichern lassen konnte.
Denn
eines werde ich sicher nicht – mich verbiegen lassen.
Juri
Adam bleibt Juri Adam. Anders. Unbeugsam.
Heute
Abend soll ich präsentiert werden.
Keiner
soll vorab was wissen, so will’s Ansgar von Lahnstein, der Boß
hier, haben.
Mir
soll’s recht sein, daß ich mich nicht schon vorab begaffen lassen
muß.
Kurz
vor der Show gehe ich nach unten.
Auf
dem Treppenabsatz bleibe ich stehen, weil ein Stück unter mir eine
Gestalt hockt.
Ich
lege den Kopf schief, um sie näher zu betrachten und wie es scheint,
ist es eine junge Frau in Unterwäsche.
Und
jetzt fällt mir auch auf, daß im ganzen Foyer getuschelt und
gelacht wird. Und so ziemlich alle die Frau anstarren.
Ich
habe ja keine Ahnung, was passiert ist, aber die junge Frau sieht
nicht so aus, als würde sie sich amüsieren.
Daß
nicht ein einziger sich um sie kümmert, ihr hilft, ist typisch.
Sensationslüstern
packen sie lieber ihre Handykameras aus.
Ich
gehe die wenigen Stufen zu der Frau hinab, stelle mich vor sie und
versuche, sie auf mich aufmerksam zu machen.
Sie
hat den Blick zu Boden gerichtet und ich muß sie erst am Knie
berühren, damit sie mich bemerkt.
Sie
schaut mit Tränen in den Augen zu mir auf.
Ich
lächele sie freundlich an.
Und
frage sie, ob sie laufen kann. Sie schüttelt den Kopf.
Daß
sie verletzt ist, glaube ich nicht. Es ist wahrscheinlich eine Art
Schock.
Ich
ziehe Jacke und Hemd aus und lege ihr letzteres um die Schultern.
Dann
ziehe ich sie hoch, lege ihren Arm um meine Schultern und trage sie
aus dem Blickfeld der Gaffer.
4292
Hinter
einem dicken schwarzen Vorhang, der einen Teil des Foyers abteilt,
setze ich sie ab.
„Geht’s
wieder?“, frage ich sie freundlich und ziehe ihr mein Hemd über
den Schultern zurecht.
Sie
nickt.
Länger
kann ich mich nicht mit ihr befassen, aber obwohl sie nichts sagt,
scheint sie okay zu sein.
*******
Dann
geht die Show los.
Nachdem
Ansgar von Dingens sein Sprüchlein abgelassen hat.
Lassen
wir Mode sprechen, meint er.
Mit
der klassischen Linie von LCL kann ich mich nicht identifizieren.
Sie
ist elegant, schweineteuer.
Mehr
nicht.
Sie
sagt nichts aus, außer daß die Person, die sie trägt, genug Kohle
hat.
Aber
dann kommen meine Mädels.
Ja,
das ist was ganz anderes.
Die
meisten empfinden es als provokativ.
Aber
ich will nicht provozieren.
Ich
will nur etwas aussagen.
Meine
Mode soll etwas aussagen.
Über
die Einstellung ihrer Träger zu sich selbst, zu den Mitmenschen, der
Umwelt.
Ich
muß allerdings gestehen, die zwei sich küssenden Models schockieren
wohl doch.
Provozieren.
Und
ich kann nicht abstreiten, daß mir das gefällt.
Dann
kündigt der Graf mich an.
Applaus
brandet auf, während ich mir ein Mikro greife und mich ins
Rampenlicht stelle.
„Ich
bin Juri Adam. Neuer Designer bei LCL.“
Ja,
das ist alles. Mehr sage ich nicht.
Aber
ich bin hier, um Mode zu kreieren, um meine Visionen umzusetzen,
nicht um Sprüche zu klopfen und dabei von all diesen versnobten
Wichtigtuern begafft und getätschelt zu werden.
Deshalb
läßt der Rest der Show mich kalt.
Es
dauert nicht lange, bis mich eins der Models anspricht.
Und
es dauert ebenfalls nicht lange, bis wir warm genug miteinander
geworden sind, um den Rest des Abends gemeinsam zu verbringen. Bei
ihr.
*******
Als
wir ins Taxi steigen wollen, sitzt da schon jemand drin.
„Ach,
du bist das.“, erkenne ich die junge Frau wieder. „Schickes
Cape.“
Ich
frage sie, ob sie auch in die Innenstadt fährt.
Seltsamerweise
weiß sie das nicht. Aber vielleicht ist sie auch neu hier.
Ich
frage sie, ob sie was dagegen hätte, wenn wir uns das Taxi teilen.
Hat
sie nicht und so können Lana und ich einsteigen.
„Auch
neu in der Stadt?“, frage ich sie.
Sie
nickt.
Dachte
ich mir doch.
„Arbeitest
du auch bei LCL?“, versuche ich das Schweigen zu unterbrechen.
„Ja.
Ich nähe. Ja, ich bin Näherin. Bei LCL. Ja. Genau. … Also …
eigentlich … es ist auch … nee ...“
Ja,
nun? Soll ich mir alles zusammenraten?
„Also
… es klingt vielleicht lächerlich … also, ich mach das auch …
designen … Mode … Sie wissen schon.“
Ich
weiß nicht, warum sie mich siezt, aber immerhin kommen wir der Sache
näher.
„Dann
sind wir ja Kollegen.“, meine ich.
„Ja.“,
sagt sie und blickt mir das erste Mal voll in die Augen. „Ich hab
das studiert.“
Irgendwie
ist sie drollig … auf eine Art schüchtern und auf andere so eifrig
und engagiert.
„Aber
… wie macht man das?“
„Was?“
„Na,
Designer sein. Also in Wirklichkeit. In der echten Welt. Ich meine,
so daß die Leute sagen – 'Hey, wow! Das ist 'ne Designerin.' ...
So. … Wissen Sie, was ich meine?“
„Ja.
Ja … ich weiß nicht. Ich glaube, du mußt einfach machen. Dich
ausprobieren, Spaß haben. Und wenn du Glück hast, kommt irgendwann
der Moment, wo die Leute plötzlich etwas sehen in dem, was du
machst. Das ist ein wichtiger Moment, da mußt du sehr aufmerksam
sein.“
Sie
strahlt mich an und bedankt sich.
Sie
plaudert noch munter weiter, aber ich höre nicht mehr wirklich hin.
Meine
Begleiterin verwickelt mich in einen heißen Kuß und angesichts
dessen, was ich heute noch so vorhabe, möchte ich sie gerne bei
Laune halten.
Kurz
darauf sind wir bei Lana zuhause angekommen.
Bevor
ich aussteige, meine ich noch zu meiner Design-Kollegin: „Dieser
Moment … den darfst du nicht verpassen. Sonst ist er vorbei.“
Ich
weiß, das klang sicher nicht sehr ermutigend. Aber es stimmt …
wenn man nicht merkt, wann die eigene Arbeit anderen etwas sagt, wird
man ewig weitersuchen und nie ans Ziel kommen.
*******
Am
nächsten Tag bin ich draußen unterwegs, Ideen, Anregungen,
Inspirationen sammeln.
So
arbeite ich.
Ich
lasse meine Umwelt zu mir sprechen, die Natur, die Menschen, einfach
alles.
Ich
brauche frische Luft und Bewegung.
Permanent
eingesperrt in vier Wände würde ich bekloppt werden, da brächte
ich nichts zustande.
Skizzieren,
weiter ausarbeiten, das kann ich auch am Zeichentisch, ja.
Aber
meine Ideen müssen in der Freiheit geboren werden.
Wenn
man meine Kreativität einsperrt, geht sie ein.
*******
Bei
LCL zeigt mir Ansgar von Lahnstein mein Büro.
Ich
weiß zwar nicht, was ich mit damit soll, aber ist nett.
Dann
erscheint auch Tanja von Lahnstein, eine kühle Blondine mit
Giftzähnen und Stacheldraht auf der Zunge.
Aber
ich bin kein verschrecktes Mäuschen, das unter ihrem Blick erstarrt.
Und
so ist es mir wurscht, daß ihr mein spätes Erscheinen nicht paßt.
Ich
biete ihr die Faust zum Gruß, aber sie mißbilligt die Geste
anscheinend.
Auf
'nen Handkuß oder 'ne Verbeugung habe ich meinerseits aber keine
Lust.
Während
ich sie reden lasse, grinse ich Rebecca von Lahnstein zu. Sie ist die
Designerin für die klassische Linie bei LCL. Sie grinst aber nicht
zurück.
Gott,
sind die alle steif.
Der
blonde Eisberg rasselt irgendwelches Zeugs runter von wegen
Kernarbeitszeiten, Bericht erstatten, Arbeitsschritte protokollieren
und so weiter.
„Da
bin ich ja froh, daß das für mich nicht gilt.“
„Doch,
das tut es.“
Irrtum.
„Lesen
Sie meinen Vertrag.“, lache ich ihr zu.
Ich
weiß nicht, ob sie nur unwissend tut oder ob der Herr Graf seiner
Geschäftsführerin nichts gesagt hat.
Ich
durchschaue das Verhältnis der beiden zueinander nicht so ganz, aber
es macht den Eindruck, als würden sie sich gerne gegenseitig den
Hals umdrehen.
Dieser
Ansgar von Lahnstein scheint zumindest begriffen zu haben, daß es
schlecht für sein Geschäft wäre, mich in irgendwelche Formen
pressen zu wollen. Ich halte ihn zwar für einen windigen Hund, aber
wenn er mich in Ruhe läßt, kommen wir klar.
„Tschuldigung,
weiß jemand, wo die Design-Abteilung ist? Ich hab 'n Meeting.“,
unterbreche ich die kleine Fehde.
Rebecca
bietet sich an, mich zu führen.
*******
Dann
stehe ich vor meinen Mitarbeitern.
„Ich
bin Juri Adam. Und ihr seid meine Arbeitssklaven.“
Ich
ernte verdutze Gesichter.
„Ach,
Hierarchien … scheiß ich drauf.“, mache ich klar, daß ich uns
alle auf Augenhöhe sehe.
„Also,
ich denke, jede Idee verdient ihre Chance, das heißt, ich will, daß
ihr mutig seid, solange ich hier bin. Traut euch was!“
Meine
junge Design-Kollegin ist auch da. Mir fällt wieder ein, daß sie
hier als Näherin arbeitet.
Als
ich mich nach meiner kleinen Rede abwenden will, stakst so‘n ganz
junges Ding auf mich zu, mit gewagtem Hüftschwung und klimpernden
Wimpern.
Viel
zu deutlich weist sie darauf hin, daß sie die Tochter des Grafen
ist.
Falls
sie meint, mich damit irgendwie beeindrucken zu können, ist sie an
der falschen Adresse.
Sie
bietet sich mir mit kokettem Augenaufschlag als Assistentin an.
Während
ich noch überlege, ob ich sie auslachen soll, werde ich
unterbrochen.
Meine
junge Kollegin von gestern ruft laut dazwischen „Nimm mich!“.
Ich
denke, mein Gesicht war sehenswert. Man kann mich nicht leicht
verblüffen, aber sie hat’s geschafft.
4293
Natürlich
starren auch alle anderen sie an und es ist nicht zu übersehen, daß
sie gerne im Boden versinken würde.
Ich
kann mir das Grinsen nicht verkneifen.
Zu
Rebecca gewandt meine ich „Sind die alle hier so motiviert?“
„Ja.
Wir arbeiten daran. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein
Teil der LCL-Firmen-Philosophie.“
Keine
schlechte Antwort.
Ich
fühle mich zwar keinesfalls belästigt, sondern vielmehr belustigt,
aber so einen Spruch hätte ich der Gräfin gar nicht zugetraut.
„Wer
zeigt mir jetzt bitte den Fundus?“, will ich wissen.
Eine
junge Frau bittet mich, ihr zu folgen.
Im
Vorbeigehen werfe ich meiner übereifrigen Kollegin einen Blick zu,
aber sie schaut nicht auf.
Schade,
daß ich nicht dazu komme, ihr zu sagen, sie soll's nicht so schwer
nehmen – jeder hat das Recht, sich mal so richtig zu blamieren.
*******
Eine Weile später
komme ich in mein schniekes Büro und das erste, was ich sehe, ist ein
Hinterteil, das sich mir entgegenstreckt.
Irgendwer
kraucht da unter meinem Tisch rum und sammelt verstreute Papier ein.
Ganz
unbekannt kommt mir die Person nicht vor.
Aber
was zum Geier macht sie unter meinem Tisch?
Als
sie mich erblickt, wie ich da stehe, in der Tat ein wenig
fassungslos, scheint sie regelrecht entsetzt zu sein.
Okay,
das ist jetzt wirklich schon das dritte Mal, daß ich sie in einer
für sie unvorteilhaften Situation erwische und das alles in nicht
mal vierundzwanzig Stunden.
„Hi
… äh … du … ich, äh … Sie wundern sich wahrscheinlich,
wieso ich hier unter Ihrem Tisch krabbele ...“
Das
tue ich in der Tat. Und ich bin sehr gespannt, was jetzt kommt.
„Ich
habe … etwas … verloren. Heute zur Abwechslung mal nicht mein
Kleid.“, lacht sie.
Ich
habe nicht den Eindruck, daß sie es selber komisch findet.
Ihr
Lachen klingt auch nicht natürlich.
„Ich
… äh … bin dann mal weg.“, versucht sie mir zu entkommen.
Ich
blicke auf die Mappe mit den Papieren in ihren Händen.
„Kann
ich das mal sehen?“
„Hm?“
„Kann
ich das mal sehen?“, wiederhole ich meine Frage mit mehr Nachdruck.
„Das?
Also … das ist gar nicht … also ...“
Hör
doch mal mit dem Rumgestammel auf.
Ich
versuche die Mappe an mich zu nehmen, aber sie hält sie eisern fest.
„Lassen
Sie los!“, verlangt sie.
Also
bitte.
Doch
als ich loslasse, verliert sie das Gleichgewicht, die Blätter segeln
in hohem Bogen davon und sie landet auf dem Arsch. Und knallt auch
noch mit dem Hinterstübchen auf.
Was
macht diese Frau bloß immer für Sachen?
„Passiert
dir sowas öfter?“
Sie
reibt sich den Hinterkopf und meint „Nee.“.
Ich
ziehe die Brauen hoch. Das soll ich jetzt glauben?
Während
sie sich aufrappelt, hole ich ihr einen Eisbeutel.
*******
„Bist
du sicher, daß du keinen Arzt brauchst?“
„Nein,
danke.“
„Okay.“
Sie
ist schon halb auf dem Weg zur Tür, als sie noch einmal kehrtmacht.
„Also,
das mit der Bewerbungsmappe … ich wollt' Ihnen die schon zeigen.
Wirklich.“
„Hör
auf, mich zu siezen, okay?“
Soviel
älter bin ich nicht und überhaupt habe ich doch klargemacht, daß
ich auf Hierarchien und sowas nichts gebe.
„Ja.
Sorry. … Ich wollte sie dir … schon zeigen. Persönlich. Und
deshalb hab ich sie dir weggenommen. Aber, ich dachte ja, unsere
bisherigen zwei … drei Zusammentreffen, die sind nicht so glücklich
gelaufen. Also dachte ich, da aller guten Dinge drei sind …“
Ich
lasse sie reden und sehe mir nebenher die Bilder an, die ich draußen
gemacht habe.
„Und
… was ich Ihnen sagen möchte ...“
Ich
weiß nicht, ob es die Sprechpause, das „Sie“ oder der veränderte
Tonfall ist, der mich sie wieder anblicken läßt.
Sie
legt mir ihre Mappe hin, blickt mir lächelnd in die Augen und meint:
„Ich glaube, ich wäre eine erstklassige Design-Assistentin.“
Ja,
schon möglich. Solange diese seltsamen Unfälle nur ihr und nicht
den Entwürfen passieren. Hast du eigentlich eine gute
Unfallversicherung, Mädchen?
„Ich
habe die besten Zeugnisse und in meinem Abschlußjahrgang war ich die
Beste.“
Als
mir klar wird, worauf das Gespräch hinausläuft, widme ich mich
wieder meinen Fotos.
„Das
freut mich für dich. … Ich brauch keine Assistentin.“
Obwohl
ich sie nicht ansehe, weiß ich, daß ihr Lächeln Enttäuschung
gewichen ist.
Warum
muß sie auch gerade mich fragen?
„Oh
nein! Ich hab's versemmelt. Ich bin zu spät … Kim ...“
„Du
verstehst mich nicht.“, unterbreche ich sie. „Ich brauche keine
Assistentin, ich arbeite allein.“
„Immer?“
„Immer.“
„Ach
... das ist … ja … danke für's Gespräch.“
„Ja.“
Sie
geht. Und ich bemerke, daß sie ihre Mappe vergessen hat.
„Warte!“,
rufe ich ihr nach.
Erwartungsvoll
kommt sie auf mich zu.
„Die
brauchst du sicher noch, oder?“
Mir
ist klar, sie ist sehr enttäuscht, aber das kann ich nicht ändern.
4294
Ich
glaube, LCL tut sich schwer mit mir. Die haben hier so eine
unflexible, eingefahrene Art, daß ich mich frage, wie man hier
überhaupt kreativ sein kann.
Ich
komm da rein, sag 'Morgen! - ja, ich weiß, es ist nicht morgens, na
und? - und was kommt prompt von der Gräfin zurück – daß es halb
fünf sei. In einem so mißbilligenden Tonfall, daß der Rüffel
nicht zu überhören ist. Ist mir aber scheißegal. Ich arbeite, wann
ich am besten arbeiten kann.
Wenn
sie ihre besten Ideen von neun bis fünf hier an ihrem Tisch hat –
schön für sie.
Ich
kann so nicht arbeiten. Und zum Glück muß ich das auch nicht.
Ich
setze mir den Kopfhörer auf und kann mich so auch in diesem
Irrenhaus fallenlassen.
Sollen
die sich doch durch die ganzen Zwänge stressen lassen … ich
lausche der Musik und bin schnell ganz entspannt, kann mich auf meine
draußen gesammelten Inspirationen konzentrieren.
*******
Ich
treffe Rebecca auf der Treppe nach unten.
„Kann
ich was für dich tun?“
Sie
ist der Meinung, sie müsse etwas für mich tun.
Ich
schnüffle an ihr und irritiere sie damit ziemlich.
„Schlechtes
Gewissen.“
„Ich?
Wieso?“, will sie wissen.
„Bist
doch gar nicht so, oder?“
„Wie
denn?“
„So
unentspannt.“
„Also,
ich bin sowas von entspannt.“
„Okay.“
Ich glaub' ihr kein Wort.
Sie
fragt mich, ob wir einen Kaffee trinken sollen, ich hätte doch
bestimmt tausend Fragen zu den Abläufen hier.
Hab
ich nicht, aber Kaffeetrinken ist trotzdem 'ne gute Idee.
Nur
das jetzt zu tun, scheint ihr nicht zu passen.
Ich
sehe sie an und kapiere.
„Okay,
deine Entwürfe. Du hast 'nen Termin bei Tanja von Lahnstein und mußt
die Entwürfe präsentieren, sie macht Druck – ich weiß, wie das
ist. … Hast du Panik?“
„Ich
hab keine Panik. Und meine Entwürfe haben genau das, was sie
brauchen. Und ja, ich bin so entspannt, mit dir 'nen Kaffee trinken
zu gehen.“
„Okay.“
Ich
glaube ihr immer noch kein Wort, aber der Kaffeeplausch könnte
interessant werden.
*******
Kurz
darauf sitzen wir in einem Etablissement namens No Limits.
Rebecca
will abstimmen, diskutieren, über Farbkonzepte reden.
Ich
weiß nicht, was das soll.
Auch
sie sieht mich verständnislos an.
Es
scheint, als würden wir verschiedene Sprachen sprechen.
Meine
Mode soll etwas aussagen, eine Botschaft rüberbringen.
Rebeccas
anscheinend nur hübsch und gefällig aussehen.
Als
sie davon anfängt, daß mein Kleid mit der Botschaft ja auch gemacht
werden müsse und von den Abläufen, dem komplizierten Apparat und
den hunderten von Mitarbeiten erzählt, durchschaue ich sie.
„Du
denkst, die Modepresse hat mich vollkommen übertrieben gehalten,
jetzt bin ich bei LCL, weiß überhaupt nicht, wo der Hase langläuft
und du mußt mir alles erklären.“
Ich
erkläre ihr, daß ich ihr nichts wegnehmen will. Sie macht ihre
Linie und ich meine. Das muß doch kein gegenseitiges Ausstechen
werden.
Leider
komme ich nicht an sie ran. Sie blockt ab und will gehen.
Das
ist schade, denn sie ist eine junge, engagierte, talentierte Frau und
daß sie sich so von diesen ganzen Regeln, Normen und Zwängen
einengen läßt, ist bedauerlich.
Während
sie auf dem Weg zur Tür ist, fällt mein Blick auf den Tisch-Kicker
und ich starte noch einen Versuch, sie dazu zu bringen, mal ein
bisschen lockerzulassen.
„Kickern?“,
fragt sie, als hätte ich sie zu einem Ausflug zum Mond eingeladen.
„Oder
bist du eine von diesen Kreativen, die keinen Spaß haben können?“
„Ich
hab früher fast jedes Turnier gewonnen.“
„Früher?
Als du noch jung und wild warst?“
Ich
stichele absichtlich, um sie aus der Reserve zu locken.
„Ich
bin immer noch … ja, laß uns kickern.“
„Das
ist ein Spiel und kein Duell.“, meine ich vorsorglich, als ich
ihren verbissenen Ausdruck bemerke.
Ich
habe Spaß, aber ich glaube, sie nicht.
Als
ihre Freundin dazukommt, frage ich sie, ob sie mitspielen will.
Vielleicht kann sie Rebecca ja dazu bringen, sich endlich zu
entspannen.
Rebeccas
Freundin motiviert noch einen Mitspieler und ich finde Rebecca nun
als meine Teampartnerin wieder.
Sie
macht mir gleich klar, was ich nicht darf, weil's ja gegen die Regeln
wäre.
Und
es kommt, wie es kommen mußte - wir spielen noch keine zwei Minuten
und schon macht sie mich dumm von der Seite an.
Selbst
unser Mitspieler mahnt sie, sie möge doch mal locker bleiben.
Aber
Rebecca hat sich hochgeschaukelt.
Und
dann geht es los … ich hätte bisher einfach nur Glück gehabt, die
Presse hätte mich hochgepusht, aber bei LCL sei eine ganz andere
Professionalität gefragt.
„Ja,
du hast Recht: Ich halte dich für 'nen Amateur.“
Und
damit rauscht sie davon.
Ich
blicke ihr verdutzt hinterher.
Ich
verstehe einfach nicht, wo ihr Problem liegt.
Bin
ich hier in einen Wettbewerb auf Leben und Tod geraten und weiß
nichts davon?
*******
Ein
wenig später bei LCL.
Ich
zeichne einen neuen Entwurf, als Rebecca zu mir kommt.
„Hey!
Vorhin beim Kickern … entschuldige, ich war da ...“
Ich
mache eine wegwischende Handbewegung. „Gefühlsausbruch.“
Sowas
kann vorkommen. Künstler sind impulsiv, was raus muß, muß raus.
Besser,
als wenn sie ihren Ärger in sich reinfrißt.
Und
ich bin nicht so empfindlich.
„Ja,
ich war da wütend, mir ist das einfach so rausgerutscht.“
„No
worry, alles easy.“
„Nein,
es ist eben nicht alles easy. Weißt du, es geht hier nicht nur um
uns und unsere Eitelkeiten. Es hängen viele Arbeitsplätze von
unserem Können und unserer Zuverlässigkeit ab.“
„Ich
respektier' deine Arbeit auch.“, sage ich und nicke ihr zu.
Ich
glaube kaum, daß sie mich wirklich verstanden hat.
Ein
jeder soll den anderen so arbeiten lassen, wie der am besten kann.
Das
schließt eine harmonische Zusammenarbeit nicht aus.
Und
dann kommen die guten Ergebnisse schon, welche die Arbeitsplätze
sichern.
Aber
wenn ich mich in Schablonen zwängen muß, taugt meine Arbeit nichts
mehr und dann …
„Und
was du vorhin gesagt hast … es ist ein Spiel und kein Duell … es
ist eins … und ich werde gewinnen.“
Sie
lächelt siegessicher und geht.
Ich
lasse sie in ihrem Glauben.
Eine
Weile später bekomme ich mit, wie Tanja von Lahnstein ihre Entwürfe
runtermacht und sie zwingt, von vorne anzufangen.
„Manchmal
gewinnt man, manchmal verliert man.“, kann ich mir nicht verkneifen
zu sagen.
So
fies bin ich sonst eher nicht, aber nach dem, was sie mir heute
reingehauen hat …
4295
Am
nächsten Tag ist es auch nicht besser.
Erst
treffe ich Graf Ansgar auf dem Klo und er quatscht mich auf meine
Kollektion an.
„Ich
hab ein gutes Gefühl.“
Mein
gutes Gefühl reicht ihm aber nicht.
„Ich
kann Ihnen die Entwürfe zeigen, wenn sie fertig sind.“
Aber
die interessieren den Typ gar nicht.
Für
ihn zählt nur die Kohle, die ich ihm einbringe.
Ja
und dann taucht plötzlich Rebecca auf, die unser kleines Gespräch
offenbar mitbekommen hat.
Und
macht mir, obwohl sie mich nicht persönlich anspricht, eine
eindeutige Kampfansage.
Offenbar
ermutigt es sie, daß ich scheinbar noch nichts Konkretes vorzuweisen
habe.
*******
Kurz
darauf sehe ich sie an ihrem Arbeitstisch stehen.
Ich
stelle mich neben sie, als sie gerade mit meiner unfallträchtigen Kollegin redet und sie schaut
mich gleich mißtrauisch an.
„Hast
du Angst, ich klau dir Ideen?“
„Du,
ich hab keine Ahnung, was du machst.“, meint sie unfreundlich.
„Neuer
Ansatz?“
„Hat's
dir gefallen, wie Tanja meine Entwürfe in der Luft zerrissen hat?“
Nee,
so bin ich dann auch nicht drauf.
“Also
wenn ich dir auch mal 'nen Tipp geben darf – zieh's dir nicht so
rein.“
Ihrem
Blick sehe ich an, daß sie mir nicht glaubt, daß ich auf ihrer
Seite stehe.
„Ey,
ich bin kein Arschloch. Zumindest glaube ich, daß ich kein Arschloch
bin.“
Endlich
nimmt sie mein Friedensangebot an.
„Hey,
ich bin grad auf dem Weg nach draußen, Ideen sammeln. Willst du
mitkommen?“
„Nein,
ich … bleibe hier. Ich finde hier meine Inspiration. Danke.“
„Okay.
Viel Glück.“ Ich lasse ihr eine Walnuß da. Nüsse sind gut für's
Oberstübchen.
Sie
läßt sich dazu hinreißen, mir „Dir auch.“ nachzurufen.
Immerhin.
*******
Ah,
die frische Luft tut gut.
Hier
draußen kann mein kreativer Geist richtig atmen.
Und
es ist ein guter Tag, die Sonne scheint und die inspirierenden Motive
scheinen mir nur so vor die Linse zu springen.
Ob
Rebecca an ihrem Zeichentisch unter dem künstlichen Licht sich heute
auch so inspiriert fühlt, so voller Ideen?
Auf
dem Weg zurück hole ich mir einen Muffin und nehme auch Rebecca
einen mit.
Ich
frage sie, wie es bei ihr gelaufen ist.
Sie
meint, sie hätte den totalen Durchbruch gehabt, was ich ihr aber
nicht glaube.
„Kreative
Menschen brennen sehr schnell aus.“
„Und
dagegen hilft 'n Muffin?“
„Muffins
sind gute Freunde.“
„Okay.“
Sie kann sich ein Grinsen nun doch nicht verkneifen und greift zu.
„Es
tut mir leid, wie das in der letzten Zeit mit uns gelaufen ist. Aber
ich glaub, ich hab was kapiert – möglicherweise führt unser Duell
dazu, daß wir beide das Beste aus uns herausholen.“
„Du
meinst, durch … Reibung wird Energie erzeugt, oder so?“
„Ja,
Und hoffentlich Mode, die die Welt verzaubert. … Was inspiriert
dich eigentlich am meisten?“
„Stille.“
Ich
glaube nicht, daß sie versteht, was ich meine.
Die
Stille in einem selbst.
*******
Eine
Weile später werde ich unsanft aus eben dieser Stille gerissen.
Graf
Ansgar hält uns eine kleine unfreundliche Ansprache.
Darüber,
in wieviel Tagen die nächste Präsentation sei und wieviel Umsatz er
mindestens erwarte. Anderenfalls er über neue, kreativere Köpfe
nachdenken müßte.
Sein
Gelaber geht mir echt am Arsch vorbei.
Rebecca
jedoch meint: „Ich weiß nicht, warum … aber unter Druck, da
arbeite ich noch besser.“
„Warum
wundert mich das nicht?“
„Weißt
du, ob in dreiundvierzig oder in siebzehn Tagen … alles was ich
möchte, ist, die beste Kollektion meines Lebens abliefern und nicht
für Ansgar von Lahnstein oder irgendwelche Umsätze … sondern für
mich.“
„Wir
sind gar nicht so unterschiedlich.“, sage ich und lächle ihr zu.
Und sie lächelt zurück.
4296
Magda
bringt mir mein Hemd.
„Hier,
gewaschen und gebügelt. Hast bestimmt schon gedacht, ich will's
behalten.“
Ehrlich
gesagt, hab ich es völlig vergessen.
Ich
sage nichts, lächle sie nur an.
„Das
war ein Scherz.“
Schon
klar. Aber ich bin mitten in der Arbeit. Da lasse ich mich ungern
ablenken.
„Danke,
ehm, Magda.“
„Martha.“
„Hm?“
Sie
bietet mir ihre Hilfe an; wenn ich was zu bügeln hätte oder so.
Ich
nicke ihr nur zu – sieht sie eigentlich nicht, daß ich beschäftigt
bin?
Ich
bin mit dem Kopf ganz woanders.
„Schöner
Knopf.“, meint sie und ich merke, daß sie auf mein Handy schielt,
mit dem ich eben einen Knopf fotografiert habe, der mich anspricht.
Ich
greife mir das Handy, betrachte den Knopf; Magda habe ich völlig
vergessen.
Als
ich wieder hochschaue, ist sie weg.
*******
Ich
habe zwei Knöpfe, die mir beide gefallen und zwischen denen ich mich
einfach nicht entscheiden kann.
Ich
brauche die Meinung einer Frau und beschließe, mit meinem
Knopfproblem zu Magda zu gehen.
Das
ist eine sehr schmerzhafte Erfahrung, denn ich stehe noch nicht ganz
neben ihr, als sie mir ein Bügeleisen auf den Fuß schmeißt.
Statt
sie um Rat zu fragen, hopse ich erstmal mit schmerzhaft verzogenem
Gesicht auf einem Bein herum.
Diese
Frau ist echt ein Unglückswurm.
Sie
ist entsetzt und rennt gleich los, einen Eisbeutel holen.
Anscheinend
können wir uns in dessen Gebrauch abwechseln.
Ich
humple zu ihrem Stuhl und lasse mich nieder, während sie sich
entschuldigt.
„Ey,
ich kenn dich seit drei Tagen und dir passiert ein Ding nach dem
anderen. Brauchst du 'nen Betreuer, oder …?“
„Das
passiert mir eigentlich gar nicht so oft.“
Ach
was? Vier so Dinger innerhalb von zwei Tagen ist also bei dir nicht
oft? Na ja … wenn du meinst …
Aber
über ihre merkwürdige Neigung zu Kalamitäten will ich jetzt nicht
reden.
Ich
bin ja wegen meinem Knopfproblem hier.
„Ich
brauch deine Meinung. Der oder der?“, sage ich und halte ihr die
beiden Knöpfe hin.
Zum
Antworten kommt sie erstmal nicht, weil was anderes kommt – die
Pizza, die sie bestellt hat.
Ich
nehme den Karton und räume ihn beiseite, weil mich im Moment nur die
Knöpfe interessieren.
„Na
ja, Knöpfe sind ja sehr verschieden. Also … sind sie sichtbar am
Kragen oder im Schritt oder willst du ...“
Ich
halte die Knöpfe an ihren Körper, um zu sehen, wie sie da wirken.
„ … sie
nur als Zierde … oder haben sie eine Funktion?“
Magdas
Stimme wird immer dünner. Was hat sie denn?
„Man
macht ihn zu und zieht sich an. Man macht ihn auf und zieht sich
aus.“
So
einfach ist das mit Knöpfen.
„Der
da!“, meint sie hektisch und zeigt auf den oberen der beiden
Knöpfe.
Ich
sehe sie an und verstehe echt nicht, was mit ihr los ist.
Aber
sie hat eine gute Wahl getroffen.
Zufrieden
lächle ich ihr zu und biete ihr großzügig ihre eigene Pizza an,
während ich mir gleichzeitig auch ein Stück greife.
„Mmmh.“
Ich bin zufrieden und auch Magda lächelt und sieht wieder entspannt
aus.
*******
Ich
bin bis in den Abend bei LCL und arbeite.
Mir
schwirrt so vieles gleichzeitig im Kopf herum, daß ich meine, mein
Schädel muß jeden Augenblick explodieren.
Sicher
mache ich den Eindruck einer Biene auf Speed, so wie ich hin und her
schwirre, hier was hervorkrame, da was wegschubse, meinen Stuhl beiseite
pfeffere und auf Außenstehende ganz sicher wirke, als hätte ich
keinen Plan, was ich machen soll.
Tatsächlich
weiß ich das aber ganz genau. Nur fehlt was …
Mein
Blick fällt auf Magda; ich hatte gar nicht bemerkt, daß sie auch
noch da ist.
„Magda?
Komm mit ins Stofflager.“
Und
bin schon dahin unterwegs.
Magda
zeigt mir etliche Stoffe, aber es ist nicht das dabei, das ich suche.
Ich
fluche mehr oder weniger dezent vor mich hin.
Und
ziehe den Ausdruck eines Fotos aus der Hosentasche, um Magda zu
zeigen, was ich suche.
„Hier,
das ist eine Wand. Schau sie dir an. Ich brauch genau so einen Stoff,
der … der dieses Gefühl erzeugt.“
„Na
ja, Gefühle sind ja subjektiv. Jeder empfindet anders.“
Ich
packe sie bei den Schultern, weil ich will, daß sie sich ganz auf
die Sache einläßt.
„Was
fühlst du?“
Für
einen Augenblick ist sie ganz starr. Aber dann läßt sie wieder
locker.
„Das
ist rauh. Die Mauer hat schon viel gesehen.“
Aaaah,
das ist der richtige Ansatz, das spüre ich.
„Ich
frage mich, was sie erzählen würde, wenn sie sprechen könnte.“
Braucht
sie gar nicht, du hast mir schon geholfen.
Ich
spurte los. Sicher wundert sie sich, aber Zeit für Erklärungen hab
ich jetzt nicht.
Wenn
ich eine Idee habe, muß sie raus.
Eine
halbe Minute später bin ich wieder da.
„Hier,
das Foto ...“
Und
zeige ihr ein Detailfoto der Mauer, auf dem sie zu sprechen scheint.
Magda
überlegt.
Ich
bin sehr ungeduldig und schubse sie Richtung Stoffe. „Na, komm!“
Nur
zwei Sekunden später reicht sie mir einen Stoff, auf den meine
Antennen sofort anspringen.
Ich
greife gleich danach, für mich ist die Sache schon
klar, als Magda noch scheu fragt „Das?“.
„Verdammt!
Das ist genial!“ … Begeistert sehe ich den Stoff an. „Scheiße.“,
meine ich strahlend. Meine Art, mich zu freuen halt.
„Danke,
Magda!“, sage ich und bin schon halb zur Tür raus.
„Martha!“,
ruft sie mir nach, sie klingt ärgerlich.
Ich
drehe mich rum. „Was?“
„Ich
heiße Martha.“
Ach
soooo. Sie ist ärgerlich, weil ich sie die ganze Zeit falsch
angeredet habe.
„Martha?
… Paßt auch viel besser.“, meine ich spontan.
Dann
bin ich weg.
*******
Dank
Martha habe ich ja, was ich brauche, kann mich eben frisch machen und
bin pünktlich fertig für meine Verabredung.
Ich
winke Martha zum Abschied zu und zeige ihr, daß ich mir ihren Namen
endlich gemerkt habe.
4297
Ich
bin recht früh bei LCL und bekomme mit, wie Rebecca Martha wegen
irgendwas rüffelt.
„Alles
klar?“, frage ich.
„Martha
ist zu spät gekommen.“
„Das
geht schon in Ordnung.“
„Ich
steh jetzt auch nicht mit der Stoppuhr in der Tür, aber Martha
sieht's ein, daß ich sie dringend zum Weiterarbeiten brauche.“
„Sie
hat gestern bis dreiundzwanzig Uhr für mich gearbeitet. Dachte, es
ist okay, wenn sie 'n bisschen später kommt.“
Ich
will auf keinen Fall, daß Martha meinetwegen Ärger bekommt.
Rebecca
guckt sauer aus der Wäsche.
„Tschuldigung.
Hab's vergessen, dir zu sagen.“
„Kein
Problem.“, meint sie, aber ich habe das dumme Gefühl, daß ich ihr
ständiges Problem bin.
*******
Tabea
ist da, eins der Models. Ich will meine neueste Kreation an ihr
sehen. Letzte Nacht hatte ich den Eindruck, ihr Körper und der Stoff
könnten ganz gut harmonieren.
Ich
gehe zu Martha, will sie fragen, ob sie das Kleid an ihr abstecken
kann.
Lächelnd
stehe ich im Türrahmen, sie ist so eifrig bei der Arbeit, daß sie
mich gar nicht bemerkt.
„Hast
du Zeit oder bist du im Streß?“
Sie
schaut hoch und starrt mich an, als wäre ich gerade vom Himmel
herabgeschwebt.
Sie
scheint mich gar nicht richtig wahrzunehmen.
Ich
wiederhole meine Frage.
Und
kann förmlich sehen, wie bei ihr der Film reißt.
Wo
mag sie wohl gerade gewesen sein?
„Ehm,
was? … Jetzt … ehm ... nein. Also ja … ehm, ich mein, ich hab …
Zeit und keinen Streß.“
Passend
zu ihrem fahrigen Gestammel fuchtelt sie mit den Armen durch die
Gegend und irgendwas landet mit einem Rums auf dem Boden.
„Gut.“,
meine ich mehr oder weniger geduldig, weil ich nicht verstehe, warum
sie schon wieder so nervös und zappelig ist.
„Geht's
um den Stoff von gestern?“
Ich
nicke nur. Kein weiteres Gestammel provozieren, sonst stehe ich heute
Abend noch hier.
„Okay.
Was soll ich machen?“
„Ich
hab von dem Stoff ein paar Muster zugeschnitten. Ich will gern sehen,
wie er fällt.“
„Klar.
Ich hol die Schneiderpuppe.“
„Nein,
nein. Ich, äh, brauche einen bewegten, lebenden Körper. … Ah, da
ist sie ja. Steckst du den Stoff an Tabea ab? Danke.“
*******
Martha
und Tabea scheinen fertig zu sein.
Aber
schon aus der Entfernung kann ich sehen, daß zwischen den beiden
dicke Luft herrscht.
„Was
ist hier los?“, will ich wissen.
„Dieser
Fettklops hat mich beim Abstecken gestochen. Mit voller Absicht. Tut
immer noch höllisch weh.“
Das
wäre natürlich ziemlich unprofessionell.
Mal
sehen, was Martha dazu sagt. Kann mir gar nicht vorstellen, daß sie
sowas macht.
Ich
trete dicht vor sie und sehe ihr in die Augen.
„War
das Absicht?“
Sie
schüttelt den Kopf.
Ich
habe so meine Zweifel, aber ich will ihr glauben.
Sie
ist eine Quasselstrippe, tollpatschig und sie schmeißt mit
Bügeleisen um sich. Aber abgesehen davon ist sie lieb und
hilfsbereit und hat ein gutes Gespür für meine Arbeit.
„Gut.
Danke für deine Arbeit.“, sage ich und für mich ist die
Angelegenheit damit erledigt.
Aber
leider nicht für Tabea.
„Bitte?“
„Ich
kann natürlich auch noch weiter abstecken … also das Kleid …
wenn's gewünscht ist.“
Dabei
schaut Martha mich fragend an.
„Wenn
die noch einmal ihre Leberwurstfinger nach mir ausstreckt, ich
schwöre, ich raste aus.“
Da
platzt mir der Kragen.
„Raus!“,
sage ich scharf.
Martha
bezieht das auf sich und entfernt sich geknickt.
Tabea
triumphiert schon.
Ich
nehme sie zwei Schritte beiseite.
„Sowas
will ich hier nicht noch mal hören.“
In
meiner Gegenwart beleidigt niemand jemand anderen ungestraft wegen
seines Aussehens, seiner sozialen Stellung oder was auch immer.
Solche Überheblichkeit macht mich wütend.
„Aber
...“
Nein,
kein 'aber'.
„Okayyyy.
Dann verschwinde.“
Sie
versteht nicht gleich, daß ich sie nicht mehr sehen will.
„RAUS!!!“,
brülle ich sie an, weil es mir jetzt echt reicht.
*******
Es
ist mir unangenehm, daß Martha mich so erlebt hat.
Sie
wirkt so unschuldig, glaubt sicher immer an das Gute im Menschen.
Ich
bin aber nicht immer so gut.
Und
ich will nicht, daß sie künftig einen großen Bogen um mich macht,
weil sie mich für einen unberechenbaren Choleriker hält.
Deshalb
gehe ich zu ihr.
Ängstlich
sieht sie freilich nicht aus. Sie strahlt mich an. Klar, die
Genugtuung, daß ich ihr und nicht Tabea geglaubt habe ...
„Der
Krach vorhin ... sorry.“
„Ist
schon vergessen.“
„Ich
hab mir gedacht, ich hol heute Abend noch mal so eine American Pizza
mit extra Käse. Und dann könntest du den Stoff für mich noch mal
an deiner Puppe abstecken.“
Sie
strahlt erst und meint dann: „Ehm, ich kann nicht. Ich, äh, hab
heut' schon was vor und die Karten sind echt schon seit über zwei
Monaten haben wir die besorgt.“
„Okay.
Arbeit ist nicht das Wichtigste. … Viel Spaß!“ Ich zwinkere und
winke ihr zum Abschied zu.
Sie
hat's verdient, sich mal 'nen richtig schönen Abend zu machen und
nicht immer bis spät hier abzuwarten, ob noch einer was für sie zu
tun hat.
4301
Manchmal
habe ich es schwer, mich verständlich zu machen. Meine Modelle sind
nicht einfach nur Stoffstücke, zu einer gefälligen Form
zusammengenäht.
Ich
versuche, das einer der Mitarbeiterinnen klarzumachen.
„Du
knitterst und nichts passiert. Stoffe müssen leben.“
Wenn
sie sich bewegt, muss der Stoff es auch tun. Nicht einfach nur
unbeteiligt an ihr herunterhängen.
Während
ich nebenbei was esse, komme ich am Näh- und Bügelzimmer vorbei, wo
Martha sitzt.
Sie
lutscht am Finger, sicher hat sie sich gepiekst.
„Alles
klar?“, frage ich.
Sie
nickt.
*******
Nach
der Arbeit gehe ich ins No Limits. Dort steigt heute irgendeine
Party, das hab ich mitbekommen, als zwei der LCL-Models sich darüber
unterhalten haben.
Ein
wenig Spaß wäre nicht schlecht, das stimuliert meine Kreativität.
Lange
aufhalten will ich mich nicht.
Nur
bis ich eine gefunden habe, die nicht so viel redet, sich aber gut
bewegen kann.
Eine
Blonde namens Jessica erfüllt das erste Kriterium schon mal nicht.
Höflich
höre ich eine Weile zu.
Martha
ist auch da.
Ausgelassen
tanzt sie mit irgendeinem Typen und macht keine schlechte Figur
dabei.
Ich
hab bis jetzt noch nie gesehen, daß sie so aus sich heraus geht.
Ich
kenne sie nur nervös und tollpatschig.
So
wirkt sie jetzt gar nicht.
Doch
auf einmal …
Des
Lärms der Musik wegen kann ich nicht hören, was los ist.
Sehen
tue ich, daß der Typ und seine Freunde sich anscheinend über Martha
lustig machen.
Und
sie steht da, schockiert …
Bis
sich plötzlich ihre Erstarrung löst, sie dem Vogel ein Glas Wasser
ins Gesicht kippt und ein Foto von ihm macht.
Klasse,
Martha!
Doch
der Typ ist offenbar einer von der üblen Sorte, die keinen Respekt
vor Frauen oder überhaupt den Mitmenschen gegenüber haben.
Er
packt Martha grob am Arm, sagt was von „Du Opfer!“ oder so.
Und
da sehe ich rot.
Gegen
die Beleidigungen hat Martha sich ja noch gut selber wehren können,
da brauchte sie meine Hilfe nicht.
Aber
das jetzt geht zu weit – niemand wird sich in meiner Gegenwart
ungestraft an einem Schwächeren vergreifen.
Ich
packe mir das Arschloch an seiner Nase.
„Du
entschuldigst dich jetzt bei ihr.“
„Laß
mich los, du Spinner!“
Erst
wenn du dich entschuldigst.
„Ich
warte.“
Denk
ja nicht, daß ich nur Spaß mache.
4302
„Zum
letzten Mal – du entschuldigst dich bei ihr!“
„Entschuldigung,
aah, Entschuldigung!“
„Ich
hör nichts!“
„Es
… tut … mir … leid!“
Ich
hole mir den Wichser nah vor's Gesicht. „Verschwinde, du
Arschloch!“
Und
schubse ihn von mir, er widert mich an.
Wortlos
gehe ich durch die Menschenmenge hindurch, die sich inzwischen um uns
versammelt hat.
Es
ist mir egal, daß mich alle anstarren.
*******
Ich
setze mich mit einer Flasche Wodka an einen Tisch und bin wütend auf
mich. Weil ich die Kontrolle verloren habe.
Martha
setzt sich irgendwann zu mir. Ich schenke ihr auch ein.
Sie
bedankt sich. Das muß sie nicht.
„Du
warst vorhin so wütend … so aggressiv ...“
Klar,
daß sie sich wundert, warum ich derart ausraste, überreagiere.
„Das,
was du grade gesehen hast von mir … ich wollte dir keine Angst
machen.“
Mehr
zu mir selbst sage ich: „Ich hasse diese Typen … diese verwöhnten
Kinder, die denken, sie könnten mit anderen Menschen machen, was sie
wollen. Die andere behandeln wie ein Stück Scheiße. Dabei sind sie
selber 'n Stück Scheiße. … Und dafür hassen die sich … und
dann machen die mit anderen, was sie wollen. … Machen andere zu
Opfern. Nur damit sie sich selber besser fühlen. Ich hasse diese
Typen!''
''Du,
ich kenn das schon. Leute, die sich über mich lustig machen, das …
das ist echt nicht schlimm.''
''Doch!
Niemand hat das Recht, dich zu erniedrigen. Niemand!''
Sie
sagt nichts.
Ich
hoffe, daß sie sich meine Worte zu Herzen nimmt.
„Typen
so wie der da ...“, sage ich und winke mit dem Kopf zu dem kleinen
Arschloch an der Bar hinüber, „sind schuld dran, daß ich keine
Menschen mag. Wegen solchen Typen ... bin ich lieber allein.“
Ich
lasse Martha Geld für ein Taxi da und gehe. Ich werde noch etwas
arbeiten, das hilft mir, wieder runterzukommen.
*******
Anderentags,
bei LCL, kommt sie zu mir. Bedankt sich noch mal bei mir.
Sie
scheint nicht wirklich zu wissen, ob sie mein Verhalten gut finden
oder ablehnen soll.
Ich
habe grad nicht die Nerven für eine Diskussion über die
Notwendigkeit von Gewalt.
Ich
kann und möchte ihr nicht erklären, warum es mir zu schaffen macht,
die Beherrschung verloren zu haben.
„Kann
ich jetzt weiter arbeiten?“, versuche ich ihr klarzumachen, daß
ich nicht über die Sache reden möchte.
*******
Mein
Blick fällt auf Martha; sie lächelt und winkt mir zu.
Sie
hat ihr inneres Gleichgewicht schon wiedergefunden.
In
mir sieht es anders aus.
Ich
bekomme einfach den Kopf nicht frei für`s Arbeiten.
Ihre
Worte lassen mir keine Ruhe.
Hätte
ich es einfach so hinnehmen sollen, daß man sie demütigt?
Sie
im Stich lassen?
Nein,
das hätte ich nicht getan, niemals!
Ich
muß hier raus, muß an die frische Luft!
*******
Als
ich zurückkomme, steht sie an meinem Arbeitstisch und sieht sich
meine Arbeit an.
„Suchst
du was?“
Sie
versucht, sich zu erklären. Ich höre was von Schreibmaschine und
habe keine Ahnung, was sie meint.
Ich
versuche, mich zu konzentrieren. Und plötzlich platzt sie heraus,
daß auf dem Board was fehlen würde, ein Stoff, ein Muster.
Ja,
das stimmt.
„Fühlt
sich an, als würde ich unter Drogen in ein Kaleidoskop starren. …
Farbe fehlt.“
„Und
… kannst du sie vielleicht beschreiben? Also … wie fühlt sich
die Farbe an?“
"Lissabon
im Regen … Lissabon im Regen.".
Eine
Weile später ist sie plötzlich wieder da.
„Kaffee,
schwarz, zwei Stückchen Zucker.“
Etwas
abwesend mache ich Platz für die Tasse.
„Und
ich hab noch was … “
„Danke,
kein Keks.“
„Lissabon
im Regen. Das Straßenpflaster im Schein einer alten Laterne. … So
hab ich mir das vorgestellt.“
Und
sie hält mir ein Stück Stoff unter die Nase … einen Stoff in
genau der Art, wie ich ihn in meinem Kopf habe.
Ich
greife mir das Stück, pinne es ans Bord und weiß sofort, das ist
es!
Martha
habe ich leider darüber völlig vergessen.
Nicht
mal für ihre Hilfe bedankt hab ich mich.
4303
Es
ist interessant, was man so über sich erfährt, wenn Leute meinen,
sie seien unter sich.
Ich
komme am Bügelzimmer vorbei, wo sich Rebecca gerade mit Nicole,
einer der Büglerinnen, unterhält.
„Juri
kann doch nicht erwarten, daß alle gleich springen, nur weil er mal
kurz 'nen kreativen Anfall kriegt. Der Typ marschiert hier rein und
raus, weißt du, und läßt sich noch als großes Genie feiern, ja,
als ob das ein besonderes Zeichen von Kreativität wäre, wenn man 'n
bisschen Chaos anrichtet und sich nicht an Abmachungen hält. Weißt
du, es kann ja sein, daß er bisher Dinge wie Teamgeist und Disziplin
nicht gebraucht hat, aber in einer Firma wie LCL kann man doch ein
bisschen Professionalität erwarten, oder?“
Nur
weil man eine andere Art zu arbeiten, kreativ zu sein, nicht
versteht, muß man sie nicht gleich runtermachen.
Leise
betrete ich den Raum.
"Von
dir lerne ich gerne Disziplin, Baby. ... Alles gut? Bist du im
Streß?“
Sie
versucht, sich nichts anmerken zu lassen. „Nö. Alles bestens.“
Heuchlerin.
„Gut.
Wir wollen ja nicht, daß du plötzlich … einen kreativen Anfall
hast.“
Nun
weiß sie, daß ich mehr mitbekommen habe, als ich sollte.
*******
Ich
bin erstaunt, daß Rebecca sich schon kurz darauf mit einem Problem
an mich wendet.
Ich
hätte vermutet, daß sie für eine Weile einen Bogen um mich macht.
Aber
ihr scheint das Wasser bis zum Hals zu stehen.
Es
geht um Lotti Rotfeld, eine Mode-Journalistin.
Sie
will wohl eine Fotostrecke machen, was für LCL eine tolle Publicity
wäre.
Aber
wenn ich Rebecca richtig verstehe, geht es ihr um das neue LCL, also
die Symbiose von Rebeccas klassischer Linie mit meiner.
„Das
heißt, du bist der Meinung, wir beiden Hübschen sollten uns eine
gemeinsame Strategie überlegen.“
„Genau
das meine ich.“
„Okay.
Ich bin mir sicher, in deinem schönen Köpfchen gibt es schon ganz
viele Ideen.“
„Nein.
Weil es seit neuestem hier nicht um meine Ideen geht, sondern um
unsere.“
Ich
frage sie, was die PR-Abteilung dazu meint. Normal managen die sowas.
Rebecca
meint, daß Tanja von Lahnstein hier die PR-Abteilung ist und die ist
zur Zeit nicht da und niemand scheint zu wissen, wann sie
wiederkommt.
Rebecca
will sich der Frage stellen, was die beiden Linien verbindet.
Ich
bin der Meinung, wir sollten feststellen, was sie unterscheidet und
darauf aufbauen.
„Und
wo soll das hinführen?“, will sie wissen.
„Zu
'ner Lösung.“
Rebecca
muß natürlich widersprechen.
Auch
wenn sich unsere Stile, unsere Linien unterschieden, wären doch
beide LCL und diese Rotfeld würde erwarten, daß man ihr was
präsentiert, was aus einem Guß ist.
„Warum?“,
frage ich, weil ich diese Notwendigkeit nicht sehe.
Das
würde total auf der Hand liegen.
„Und
überhaupt habe ich keine Zeit und keine Lust, mir deine destruktive
Sch... Philosophie da reinzuziehen.“
„Okay.
Das heißt, du brauchst mich gar nicht.“ Dieses Gespräch war
wirklich reine Zeitverschwendung.
Ich
schnappe mir meinen Krempel und lasse sie stehen.
„Wo
willst du hin?“
„Ich
gehe mich jetzt besaufen.“
„Und
das Shooting?“
„Ich
bin mir sicher, mit deinem Harmonieverständnis wirst du das schon
hinkriegen.“
Ich
hab echt die Schnauze voll.
Wenn
ihr Verständnis von Teamgeist so aussieht, daß ich mich in allem
nach ihrer Meinung richte, dann kann sie sich ihren Teamgeist sonst
wohin stecken.
„Du
kannst doch jetzt nicht einfach ...“
„Klar
kann ich das. … Ich bin der destruktive Typ.“
Ich
habe es nicht vergessen, Rebecca ...
*******
Natürlich
habe ich mich nicht besoffen.
Noch
liegt mir was an meinem Job.
Nur
da raus mußte ich für eine Weile.
Als
ich zurückkomme, bekomme ich mit, wie Rebecca gerade versucht, der
Rotfeld Schloß Königsbrunn als Location für das Shooting
schmackhaft zu machen. Doch die ist nicht begeistert.
Und
ich werde Rebecca jetzt ihren Arsch retten, obwohl sie es an mir
nicht verdient hat.
Ich
platze dazwischen und meine, daß wir das schnarchlangweilige
Konventionelle mit einem Kampf der Kulturen brechen werden.
„Die
Frage ist, wer kämpft hier gegen wen?“, will die Rotfeld wissen.
„Prinzipien.
Rebeccas Prinzip der klassischen Schönheit, die Eleganz, das
Konservative gegen meins, das Gebrochene, das Diffuse, die Anarchie.“
„Klingt
das nicht ein bisschen sehr theoretisch?“
Kommt
drauf an, was man draus macht.
Ich
erkläre, was mir vorschwebt. Nämlich, das Schloß in ein
Schlachtfeld zu verwandeln, auf dem die beiden Linien als Gut und
Böse gegeneinander kämpfen.
Meine
Models würden das Schloß stürmen.
„Ja,
aber sie werden mit großem Widerstand meiner Models rechnen
müssen.“, meint Rebecca angriffslustig.
„Natürlich.“
So soll es doch sein.
„Und
es ist noch nicht ausgemacht, wer gewinnen wird.“
Ach
ja, das Duell zwischen uns.
„Nein.
Es wird ein brutaler und langer Kampf.“
„Haute
Couture war schon immer die Idee der Abgrenzung von oben nach unten.“
„Ja,
aber die Aristokratie ist schon lange tot. Das wissen die nur nicht,
die in ihrem Schloß da oben. Die Grenzen sind weg, Mauern
zerbröckeln. Auch bei LCL.“
Ob
Rebecca wohl versteht, was ich meine?
Die
Rotfeld will wissen, ob Tanja von Lahnstein das genauso sehen würde.
„Tanja
von Lahnstein war sich klar darüber, als sie mich geholt hat, daß
ein riesiger Bruch entstehen würde.“
Ich
verschweige, daß die eiskalte Gräfin ganz und gar nicht begeistert
von mir ist.
„Aber
sie wäre nicht Tanja von Lahnstein, wenn sie diesen Bruch kaschieren
wollen würde.“
Hm,
scheint so, als würde Rebecca doch mitspielen.
„Ganz
im Gegenteil. Sie nimmt diesen Bruch und macht ihn zu einem Thema
einer neuen Ästhetik bei LCL.“, klinke ich mich wieder ein.
„Ja,
es geht hier nicht um falsche Harmonie.“
Ganz
genau.
Wo
das nun klar ist, fliegen die Ideen, die Visionen nur so zwischen uns
hin und her. Die Rotfeld haben wir für einen Moment völlig
ausgeblendet.
Keine
Bemühungen mehr um einen gemeinsamen Nenner, den es nicht gibt.
Sondern
Kampf.
Aber
fruchtbarer Kampf.
Die
Rotfeld ist beeindruckter, als sie zugeben will.
4304
Nun,
wo Rebecca und ich uns einig sind, uns zu bekämpfen, haben wir die
Rotfeld im Sack.
Ihr
gefällt der Kampf Avant Garde gegen Haute Couture.
Allerdings
will sie die Fotos morgen Abend.
Rebecca
würde sich eher die Zunge abbeißen, als zuzugeben, daß das ein
Problem ist, da bin ich sicher.
*******
Ich
schaue mir mit Rebecca das Schloß an.
„Du,
ich werde es aber nicht schaffen, bis morgen neue Entwürfe
fertigzustellen.“, teilt sie mir ihre Sorge mit.
„Keine
Angst, ich nehm' auch nur Sachen von meinem Presseempfang.“,
beruhige ich sie.
Als
ich auf der Treppe stehe, die aus der Eingangshalle nach oben führt,
habe ich die Idee, wie Rebeccas Models versuchen, das Schloß gegen
meine anstürmenden Models zu verteidigen.
Ihr
scheint die Idee zu gefallen. „Ja, doch, doch, ja, find ich gut. …
Könnte sexy sein.“
Und
ob das sexy aussehen wird!
Das
Schloß ist echt eine tolle Kulisse für die Fotos.
Ich
streune durch die Räume und als ich in einem Salon einen
Billardtisch sehe, habe ich gleich ein geniales Foto vor Augen.
„Was
hältst du davon - eins deiner Models liegt hier gebondaged auf
diesem Tisch und ...“
Ich
lümmele mich lasziv auf den Tisch und versuche anzudeuten, was ich
meine.
Doch
Rebecca zieht mich eilig da runter und meint, dem Schloßherrn würde
das gar nicht gefallen.
Na
ja, es wird auch so gut werden.
Dann
treffen wir die Hausherrin, Gräfin Elisabeth von Lahnstein und ihren
Butler, welcher mich pikiert mustert. Ich versuche eine möglichst
elegante Verbeugung vor der Gräfin, die mich eher erstaunt mustert.
Ich
habe den Eindruck, daß Rebecca und ich sie mit unserem Fotoshooting
irritieren, aber als adlige Dame bewahrt sie Contenance.
*******
Zurück
bei LCL mache ich mich an die Arbeit.
Überlege
mir, welche Modelle passend wären.
In
meinem Kopf summt und brummt es wie in einem Bienenstock.
Die
Gedanken schwirren wild umher, machen sich selbstständig.
Ich
weiß, ich tue gut daran, sie zu lassen.
Aus
diesem Chaos in meinem Hirn entsteht meist etwas Gutes.
Ich
hole mir einen Kaffee, denn das wird noch ein langer Arbeitstag.
Auf
der Treppe nach oben treffe ich Martha.
Ihren
Redefluß kann ich jetzt, wo ich mich konzentrieren will, gar nicht
gebrauchen.
„Sag
mal … ich geh gleich in den Fundus. Ich könnte deine Modelle
mitbringen, wenn du möchtest?''
„Ich
weiß selber noch nicht, welche ich brauche.“
''Ich
könnte aber eine Vorauswahl treffen.“
Ich
bin schon halb die Treppe rauf. Angenervt wende ich mich ihr zu.
„Nein,
danke! Sag mal, hörst du mir eigentlich zu? Das würde alles in
Unordnung bringen!“
Es
ist ja lieb, daß sie mir unbedingt helfen will, aber sie scheint
nicht zu begreifen, daß ich grade meine Ruhe brauche.
Es
geht nicht gegen sie, aber in so einer Stimmung kapsele ich mich
immer von meiner Umwelt ab, das ist eben so.
Sie
soll mich solange einfach in Ruhe lassen, dann ist alles gut.
Als
ich nach oben an meinen Arbeitsplatz komme, trifft mich fast der
Schlag.
Der
ist fast leer! Nichts ist da, wo es hingehört.
Das
ganze kreative Chaos, das ich brauche, weg …
„WER
WAR DAS?“, brülle ich meinen Unmut durch's ganze Haus.
Rebecca
amüsiert sich über mein entsetztes Gesicht.
Und
ich erfahre, daß Martha das verbrochen hat.
Während
ich mich bemühe, das Chaos auf meinem Tisch wiederherzustellen, will
Rebecca mit mir über die Vorauswahl der Modelle reden. Doch dazu
habe ich jetzt nicht die Nerven.
Ich
sage ihr, sie soll einfach machen, ich würde mich dann nach ihr
richten.
*******
Als
Martha kommt, stelle ich sie zur Rede. Ich weiß, sie hat es gut
gemeint, aber ich mag es nicht leiden, wenn man sich in welcher Form
auch immer in meine Arbeit einmischt.
''Also
wenn es um deinen Schreibtisch geht, ich hab nur ein bisschen Ordnung
gemacht, weil er doch so zugemüllt … so überladen war. Weißt du,
ich … ich dachte, daß wenn alles ein bisschen sortiert ist, daß
du dann vielleicht dich besser konzentrieren kannst … du weißt
schon 'Ordnung auf dem Schreibtisch, Ordnung im Kopf'.“
Ich
bremse sie in ihrer Verteidigungsrede aus.
''Ich
sag dir das jetzt nur einmal: Geh nie wieder an meine Sachen.''
„Ich
hab's nur gut gemeint.“
Das
weiß ich.
„Ich
hab's kapiert. … Ich könnte dir vielleicht bei der Auswahl helfen.
Ich such deine alten Modelle zusammen, ich sortier sie farblich oder
thematisch. Damit du einen besseren Überblick bekommst, hm?“
„Ich
hatte einen wunderbaren Überblick, bevor du deine Finger hier
reingesteckt hast.''
„Deine
Kleiderstange ist noch komplett leer. Ich werde nicht aufräumen,
versprochen, aber ich will dir wirklich gerne helfen.“
Das
glaube ich ihr sogar.
Aber
im Moment bin ich durch ihre verdammte Aufräum-Aktion aus dem
Konzept gebracht und ziemlich gereizt.
Besser,
sie läßt mich jetzt einfach in Ruhe, ich krieg mich schon wieder
ein.
„Für
heute hab ich Hilfe genug.“, sage ich und lasse sie stehen.
*******
Ich
sitze im No Limits.
Inzwischen
habe ich mich beruhigt und meine Gedanken fokussieren sich wieder auf
die Auswahl meiner Modelle.
Zwischen
die Bilder der Kleider mischt sich immer wieder etwas Anderes, Neues
… ich verhindere es nicht.
Ich
weiß ja, das aus diesem Gedankenchaos irgendwann was Brauchbares
entsteht.
Ich
beobachte Martha, die mit Rebeccas Assistentin Kim an der Bar sitzt
und sich was zu trinken mixt.
Und
plötzlich … die Farben im Glas … das paßt absolut zu dem, was
mir gerade wieder und wieder durch den Kopf huscht.
Dieser
Eingebung folgend, springe ich auf.
„Mitkommen!“,
sage ich zu Martha und nehme ihr das Glas aus der Hand.
Sie
ist verwundert, vielleicht erwartet sie eine weitere Standpauke.
Aber
sie steht auf und so schiebe ich sie ungeduldig Richtung Ausgang.
Sie
will mir helfen, sagte sie vorhin. Nun, jetzt kann sie das.
*******
Kurz
darauf wühle ich im Lager nach dem passenden Stoff.
Martha
wundert sich. „Und was soll das jetzt?“
„Ich
brauch noch ein Ding … ein Kleid.“
„Aber
ich … dachte, daß bei dem Shooting nichts Neues präsentiert
wird?“
„Jetzt
doch.“
„Aber
Rebecca hat auch überhaupt nichts.“
Ja,
und?
Ich
kann doch meine Ideen nicht ein- und ausschalten wie das Licht.
Da
ist was in meinem Kopf und das will raus, will umgesetzt werden.
Ich
lasse mich durch Marthas Einwände nicht beirren, ziehe sie zu mir
runter und meine: „Ich hab dich vorhin gesehen. Diese zwei Säfte,
die du zusammengemischt hast, das ist der Farbverlauf, den such ich.“
„Okay.“
Ich
glaub, sie zweifelt gerade ein wenig an meinem Verstand, aber das
macht nichts. Das tue ich auch manchmal.
„Wenn
ich eine Idee habe, dann muß sie raus. - Ah!“ Ich habe
gefunden, was ich suchte. „Das ist es.“
Ich
laufe Martha voraus zu meinem Platz.
„Und
jetzt?“, will sie wissen.
Ich
schiebe alles auf meinem Tisch beiseite. „Machen wir was Neues.“,
beantworte ich ihre Frage.
Es
ist großartig.
Wir
arbeiten phantastisch zusammen, brauchen kaum Worte, um uns zu
verständigen.
Martha
weiß einfach, was ich will.
Bald
schon sind wir vollgekleckert mit gelbem und rotem Färbemittel, aber
wir haben einen Riesenspaß.
Dann
ist es vollendet und es ist absolut geil geworden.
Wir
zwei Hübschen stoßen mit Bananen- und Kirschsaft an und sind rundum
zufrieden.
Übermütig
kippt Martha noch ein Schluck Kirsche auf's Kleid.
Ich
muß lachen; es gefällt mir, wie locker sie drauf ist. Und Martha
lacht mit.
*******
Es
ist schon fast Tag, als ich zuhause ankomme.
Ich
trinke mir noch ein, zwei Sljivovic, um runterzukommen, dann nur noch
Klamotten aus und rein ins Bett.
Schwere
Schritte … Weinen … Schreie …
Sie
brauchen mich.
Ich
darf nicht einfach nur zusehen.
Nichts
tun.
Ich
darf sie nicht im Stich lassen.
Sie
brauchen mich.
Ich
stürme hinaus, mitten unter sie.
Einer
packt mich von hinten.
Aber
ich werfe mich blitzartig herum und packe ihn bei der Kehle.
Du
verdammter Bastard, du wirst ihnen kein Leid antun!
Ich
halte ihn eisern fest und schreie ihm meine Verachtung ins Gesicht.
Er
wehrt sich nicht.
Starrt
mich nur angstvoll an.
4305
Ich
fühle keinen Triumph über meine Überlegenheit.
Irgendetwas
ist seltsam …
Ich
schließe und öffne die Augen rasch hintereinander.
Ich
kenne das Gesicht.
Martha?
MARTHA
!!!
„Verdammte
Scheiße! Was machst du hier? Wie bist du hier reingekommen?“
Noch
reichlich geschockt erklärt sie mir, daß alle wegen des Shootings
auf mich warten und sie mich nicht erreichen konnte.
Verdammt
ja, das Shooting!
Ich
sage ihr, sie soll ein Taxi rufen und unten auf mich warten.
Hastig
ziehe ich mich an.
Meine
Hände zittern.
Ich
hätte Martha beinahe erwürgt …
Ich
sehe wieder ihr Gesicht vor mir und weiß, daß sie eine Scheiß-Angst
hatte.
Verdammt,
was mußte sie hier auftauchen?
Sicher,
sie konnte ja nicht wissen, wie ich reagiere, wenn man mich einfach
so im Schlaf anpackt.
Sie
konnte nichts wissen von dem ebenso schrecklichen wie fatalen
Alptraum.
Wie
soll ich ihr erklären …?
Scheiße!
Ausgerechnet sie …
*******
Dann
stehen wir unten und warten auf das Taxi.
Es
herrscht Schweigen.
Von
meiner Seite ist es ein betretenes Schweigen.
Ich
weiß, ich müßte etwas sagen, ihr etwas erklären.
Aber
das Entsetzen über das, was passiert ist, schnürt mir die Kehle zu.
Zudem
bin ich eh nicht der Typ, der gut im Entschuldigen ist.
Oder
irgendwas zu erklären.
Ich
weiß nicht, ob ich erleichtert sein soll, daß sie mir keine Fragen
stellt.
Und
ich hoffe, sie deutet mein Schweigen nicht so, als würde es mir am
Arsch vorbei gehen, mal eben so eine Arbeitskollegin zu würgen.
„Wo
bleibt 'n das Taxi?“, fragt sie und ich frage mich, ob ihr
unbehaglich in meiner Nähe ist.
„Wir
fahren zuerst ins Büro und holen die Sachen.“
Meine
Stimme klingt völlig unbeteiligt, so als ob nichts geschehen wäre.
„Die
Kleider sind schon auf dem Schloß. Inclusive dem neuen Kleid.“
Ich
sehe sie an, weiß, daß ich mich wenigstens dafür bedanken sollte.
Und
sage nichts.
Dann
ist das Taxi da und schweigend setze ich mich in den Fond.
Ich
habe eine hohe Mauer um mich herum hochgezogen.
*******
Dann
sind wir auf dem Schloß und die Arbeit lenkt mich ab.
Ich
komme vorübergehend wieder ins Gleichgewicht; bin wieder in meinem Element.
Und
obwohl wir spät dran sind, läuft alles wie am Schnürchen.
Martha
arbeitet zuverlässig und akkurat wie immer.
Sie
ist absolut professionell.
Nur
einen Moment lang habe ich das Gefühl, daß sie an die Sache denkt.
„Alles
klar?“, frage ich.
„Ja.“
Irgendwas
sagt mir, daß doch nicht alles klar ist.
*******
Dann
ist das Shooting im Gange und ich sorge dafür, daß Action in die
Bilder kommt. Immerhin soll das hier ein Kampf sein.
Rebecca
stachelt ihr Model an, sich von meinem nicht unterkriegen zu lassen.
Gut
so.
Die
Rotfeld will mein Kleid im Vordergrund haben.
„Wie
haben Sie es geschafft, in so kurzer Zeit ein so aussagekräftiges
Kleid zu zaubern?“
Ich
blicke zu Rebecca, obwohl ich weiß, daß Martha hinter mir steht.
„Ein
gutes Team.“, antworte ich.
Die
Rotfeld blickt zu Martha; sie hat genau mitbekommen, wer mir bei den
Vorbereitungen geholfen hat.
„Eine
gute Assistentin ist nicht mit Gold aufzuwiegen.“
„Ich
bin nicht seine Assistentin!“, höre ich Martha sagen.
Meine
ich das nur, oder klingt das bitter enttäuscht?
*******
Als
wir fertig sind mit dem Shooting, haue ich ab.
Ich
muß raus, mich draußen auspowern.
Das
hat mir immer schon geholfen.
Aber
es will mir nicht gelingen, die Bilder aus dem Kopf zu bekommen.
Bilder
davon, wie ich Martha würge …
Es
ist furchtbar.
*******
Dann
sind wir wieder bei LCL.
Ich
sehe Martha mit ihren Kolleginnen sitzen.
Wie
es scheint, erzählt sie ihnen brühwarm, was heute Morgen in meinem
Loft passiert ist.
Daß
sie sich nach Aufmerksamkeit sehnt, okay. Soll sie stolz rumerzählen,
wie sie am Shooting mitgewirkt hat. Aber das … das geht gar nicht!
Der
Ärger kocht in mir hoch wie heiße Milch.
„Martha?
Kommst du mal bitte?“
Ich
will unter vier Augen mit ihr reden.
''Das
mit heute Morgen, das ist eine Sache. Aber daß du jetzt jedem davon
erzählst … ich hätte das nicht von dir erwartet!''
''Was?
Aber ...''
''Ja,
komm, ist gut! Laß! … Verschwinde!''
Ich
bin wirklich tief enttäuscht.
Ich
mag sie.
Und
unsere Zusammenarbeit versprach viel Gutes.
Aber
ich mag niemanden um mich haben, der mit solchen Sachen hausieren
geht.
Martha
ist sichtlich geknickt und geht zur Tür.
Dann
jedoch wendet sie sich wieder zu mir.
''Damit
du es weißt – ich ... ich hab das niemandem erzählt. Die Mädels
wollten nur wissen, wie du auf die Idee mit dem Kleid gekommen bist
... und als du nicht beim Shooting aufgetaucht bist ... da dachte ich
... unsere ganze Arbeit ist dahin. Deshalb bin ich zu dir nach Hause
gefahren, weil ich dir helfen wollte! Und als du mich dann gewürgt
hast … da hatte ich Angst! … Verstehst du das? Ich hatte Angst!“
Ja,
das verstehe ich.
Sehr
gut sogar.
Ich
schaffe es nicht, ihr ins Gesicht zu sehen.
Ich
fühle mich mies. Und zu Recht.
„...
Und anstatt dich zu entschuldigen, machst du mir jetzt Vorwürfe. ...
Du sagst, du hättest mehr von mir erwartet ... ganz ehrlich ... ich
auch von dir!“
Damit
ist sie raus aus der Tür.
Und
läßt mich in einem Bad verschiedener Gefühle sitzen. Allen ist
gemein, daß sie sehr unangenehm sind.
Ich
Idiot! Ich gedankenloser Mistkerl!
Doch,
Juri, diese Ansage hattest du verdient. Eine reinhauen hätte sie dir
sollen.
Noch
nicht schlimm genug, daß du sie gewürgt und ihr damit eine
Scheißangst gemacht hast.
Nein,
du unterstellst ihr, IHR, daß sie die Sache ausgeplaudert hat, um
sich wichtig zu machen.
Statt
dich zu entschuldigen, ihr zu sagen, daß es dir leid tut.
Wie
konnte ich nur so von ihr denken? Ich hätte es besser wissen müssen.
Ich
wünschte, sie hätte mir eine reingehauen. Das hätte nicht
so wehgetan wie ihre Worte …
Das
ist es, was mir durch den Kopf geht und mich nicht mehr losläßt.
Es
wird auch nicht gerade besser, als ich mitbekomme, daß das Kleid, zu
dem mich Martha inspiriert hat, an dessen Erschaffung sie
maßgeblichen Anteil hat, auf dem Cover gelandet ist.
Diesen
Erfolg verdanke ich ihr.
Und
das verstärkt meine Schuldgefühle, mein schlechtes Gewissen noch.
Gegenüber
Rebecca lasse ich mir freilich nichts anmerken.
Sie
hält mir eine Rede über Abmachungen und Regeln und dafür hab ich
jetzt echt nicht die Nerven.
Als
sie meint, ich würde auf jeden scheißen, weil es mir nämlich immer
nur um mich ginge, fühle ich mich getroffen.
Martha.
Ich
denke über den gestrigen Abend nach. Wie gut wir zusammengearbeitet
haben. Wieviel Spaß wir hatten.
Sie
ist gut. Sie ist wirklich gut. Sie hat Talent und das richtige
Gespür. Sie ist engagiert und ich weiß, es würde ihr viel
bedeuten, meine Assistentin zu werden. Okay, sie ist etwas
übereifrig. Tollpatschig. Aber sie wird ja nicht jeden Tag mit
Bügeleisen nach mir werfen. Mal im Ernst, Juri, ohne sie hättest du
das Shooting glatt verpennt und die ganze Arbeit wäre für die Katz
gewesen.
Ihr
war das nicht egal. Die Arbeit war ihr nicht egal. Du warst
ihr nicht egal.
Sie
hat sich für dich und deine Arbeit eingesetzt.
Gib
ihr, gib eurer Zusammenarbeit eine Chance.
Los,
Junge, sei nicht immer so stur …
*******
Dann
stehe ich vor ihr.
Sie
räumt ihre persönlichen Sachen in einen Karton.
„Du
hast deine Sachen gepackt?“
Will
sie gehen? Meinetwegen?
„Vorhin
… da hast du was gesagt …“
Daß
ich mich nicht mal entschuldigt hätte.
„Sorry.“
Es
klingt schlicht, aber ich meine es ernst.
Sie
nickt leicht. Sie scheint meine dürftig klingende Entschuldigung zu
akzeptieren.
Ich
ziehe den Ausdruck des Covers mit meinem, unserem Kleid hervor.
„Ich
hätte das ohne dich nicht hingekriegt.“
Sie
lächelt leicht.
Und
dann gebe ich mir einen Ruck.
„Okay!
Nimm deine Sachen und komm mit!“
„Was?
Wohin?“
„Na,
rüber. Du bist meine neue Assistentin.“
Erleichtert,
es hinter mir zu haben, bin ich schon halb zur Tür raus.
''Halt!
Warum gibt's du mir jetzt den Job? Du brauchst doch niemanden? Wenn
du Mitleid mit mir hast, das brauch ich nicht! Ich brauch den Job
nicht!''
Martha!
So ist es nicht!
Wenn
ich mich nur erklären könnte …
Ich
könnte schreien; diese Situation ist der Horror für mich.
Ich
und Gefühle zeigen … pffft!
Juri,
du verdammter Feigling, mach jetzt bloß keinen Rückzieher, weil sie
es dir nicht ganz so einfach macht.
Du
hast es gar nicht anders verdient.
''Ich
brauch dich ... weil du gut bist!'', quetsche ich mir raus.
Das
ist kaum die ganze Wahrheit, aber alles, wozu ich fähig bin.
*******
Meine
neue, meine erste Assistentin stellt Bedingungen.
''Ich
will meinen Platz in der Nähabteilung behalten.''
''Ich
brauch dich aber hier!''
''Du
bist doch eh fast nie da, oder?''
''Darum
geht's nicht!''
''Du
bist eine ganze Zeit lang ohne mich ausgekommen, die paar Schritte
werden doch jetzt kein Problem sein, oder?''
Ihr
selbstbewußtes, forsches Auftreten amüsiert mich irgendwie.
So
redet selten einer mit mir.
''Noch
irgendwelche Bedingungen?''
Dann
kommt sie auf heute Morgen zu sprechen.
Mir
bricht sofort der Schweiß aus.
''Also
das mit dem Einbruch, das ... das tut mir Leid! Ich wußte nicht, daß
so was überhaupt funktioniert. ... Ich hab so was ja bisher nur in
Fernsehfilmen gesehen und da war es bei dir auch echt genauso
einfach. Du solltest wirklich dein Schloß mal auswechseln; es ... es
tut mir leid. Ehrlich, ich hab so was noch nie gemacht und ich werd‘
so was auch nie wieder machen!''
Ich
bin erleichtert, daß sie sich nur für ihr Eindringen entschuldigen
wollte und keine Erklärung für mein aggressives Verhalten fordert.
''Du
musst dich nicht entschuldigen.“
Aber
ich fühle irgendwie den Drang zu einer Entschuldigung.
Es
muß sein.
Ich
bin ihr das schuldig.
Langsam
gehe ich um meinen Tisch herum auf sie zu.
''Martha!
Das heute Morgen ... ich wollte das nicht. ... Du hast mich
aufgeweckt ... du hast mich erschrocken, ich meine, niemand weckt
mich so auf. ... Ich hab einfach ... ich hatte in meinem Leben
einfach ein paar extreme Situationen.“
''Extreme
Situationen?“
''Ich
will nicht drüber reden!“
Ich
stehe jetzt dicht vor ihr.
„Aber
ich will, daß du mir glaubst: - Ich würde dir niemals
wehtun!''
Ich
möchte sie sanft bei den Schultern nehmen, aber ich bringe es nicht
über mich.
Aber
ich hoffe sehr, daß sie mir trotzdem glaubt.
Es
ist mir sehr wichtig, daß sie das weiß.
4309
Ich
werde noch irre!
Wie
besessen stelle ich mein ohnehin schon chaotisches Loft auf den Kopf,
nehme jeden Fetzen, jedes Ding in die Hand auf der Suche nach dem,
was mir gerade im Kopf herumspukt.
Ich
weiß, daß es das ist in dem Moment, wo ich es gefunden habe.
Aber
ich finde es einfach nicht.
Ich
hab das Bild genau im Kopf …
Ah,
Moment!
Das
…? Yep!
Nun
brauche ich Martha.
Schnell
ziehe ich mich an und bin kurz darauf bei LCL.
*******
Ich
finde sie im Nähzimmer.
„Martha!“
Ich winke sie her zu mir,
„Moment!
Nicht so schnell. Warst du schon bei Ansgar? Er hat dir letzte Nacht
auf die Mailbox gesprochen.“
Was
will Rebecca denn von mir?
Ich
zucke mit den Schultern, weil ich keine Ahnung habe, wovon sie
spricht.
„Kann
ja nicht so wichtig sein.“
„Doch,
allerdings. Es geht um deine glorreiche Idee, Martha, meine beste
Näherin abzuwerben.“
„Hol
dir 'ne Neue.“ Sollte doch wirklich kein Problem sein. Martha ist
echt zu schade, um nur zu nähen. Sie hat viel mehr drauf.
„Hey,
Finger weg von meinen Leuten. Vielleicht ist dir die Show egal, ja,
aber ich hab mir hier ein Team zusammengestellt und wir arbeiten auf
Hochtouren. Da kannst du nicht einfach jemanden abziehen.“
Ich
sage nichts, denke mir nur mein Teil.
Das
ist so typisch für so 'nen Riesenkonzern. Total unflexibel.
„Ich
weiß, du hältst dich ungern an Regeln, deshalb muß ich es tun. Ich
werde Martha vor der Modenschau nicht aus ihrem Vertrag lassen. Und
Ansgar stimmt mir zu.“
Wie
eine Raubkatze vor dem Sprung funkelt sie mich an; nicht nur ihre
Stimme klingt angriffslustig.
„Wart's
ab.“, meine ich nur und lasse sie stehen.
*******
Ein
paar Minuten später stehe ich beim Herrn Grafen im Büro.
Um
meine Kollektion geht es ihm.
Er
traut mir nicht.
Hat
Angst, daß ich es versemmele.
Er
ist nicht damit zufrieden, daß meine Kollektion nur in meinem Kopf
existiert.
Ich
halte ihn für den sichersten Ort.
Da
drin ist es so chaotisch wie in meinem Loft.
Paßt
perfekt.
Und
tatsächlich habe ich alle Entwürfe komplett.
Die
Modelle könnten sofort produziert werden, wenn ich wollte.
Aber
der Graf kommt mir dumm.
„Wir
hatten eine Abmachung. Sie lassen mich arbeiten, wie ich arbeite und
kümmern sich selber um Ihre Zahlen.“
Doch
er meint, er muß Druck machen, mir zeigen, daß er hier der Chef ist
und ich zu spuren habe, weil er mich dafür bezahlt.
Er
verlangt von mir, daß ich meine Arbeitszeit künftig hier bei LCL
verbringe. Und eine erfolgreiche Kollektion.
Letztere
hätte er haben können.
Aber
nicht so.
Ich
lasse mich nicht unter Druck setzen.
Von
so einem Lackaffen schon gar nicht.
Und
schon bin ich zur Tür raus.
„Sie
können jetzt hier nicht einfach abhauen!“
Und
wie ich das kann.
*******
Ich
verpisse mich ins No Limits.
Bin
ein wenig unschlüssig, was ich machen soll.
LCL
ist schon eine große Chance. So ein Label bietet mir einfach ganz
andere Möglichkeiten, als ich sie allein hätte.
Aber
in mir sträubt sich alles dagegen, nachzugeben, mich anzupassen.
Es
ist nicht nur mein Stolz, der sich dagegen wehrt.
Ich
fürchte wirklich um meine Kreativität, die leiden wird, wenn ich
nicht die Freiheit habe, zu tun und zu lassen, was ich will.
Ganz
unerwartet steht auf einmal Martha neben mir.
„Was
machst du hier?“
Auf
irgendwelche Diskussionen hab ich grad so gar keinen Bock.
Sie
will wissen, was Ansgar gesagt hat.
Sie
ist ganz außer Puste, weil sie mir nachgerannt ist, wie sie selbst
sagt.
„Du
solltest Sport machen.“, meine ich. Eine bessere Kondition wäre in
ihrem Job nicht schlecht.
„Ich
bezweifle, daß er das gesagt hat.“, weicht sie aus.
Nein,
eigentlich bin ich ausgewichen.
Ob
wir uns geeinigt hätten?
''Ich
arbeite entweder unter meinen Bedingungen oder ich arbeite gar
nicht.“
''Soll
das heißen ... du schmeißt hin? Das läßt du mal schön bleiben!“
Mein
Kopf fährt zu ihr herum. Was hat sie da gerade gesagt?
„Du
willst bei der Show erfolgreich sein und deine Entwürfe zeigen und
das vor der ganzen Welt, aber dazu brauchst du Presse, Werbung,
Kontakte und das kannst du nicht einfach in deiner alten
Hinterhofklitsche schaffen, sondern dazu brauchst du eine Firma wie
LCL. Dazu mußt du dich bitte endlich an ein paar Regeln halten und
nicht überall Chaos verbreiten. Vorhin zum Beispiel - Rebecca
wollte, daß ich ihr etwas nähe, weil sie noch nicht wußte, daß du
mich zu deiner Assistentin gemacht hast. Wenn ich aber deine
Assistentin bin und ich weiß immer noch nicht, ob ich‘s wirklich
bin, dann ... dann fehlt eine Näherin und der ganze Prozeß gerät
ins Stocken. Das ist der Grund, warum du überall Chaos verbreitest,
weil du mit niemandem kommunizierst."
''Pfft
... ich laß mir doch nicht von einer Näherin sagen, was ich ...''
Sag
mal, Juri, hast du sie noch alle? Benimmst dich Martha gegenüber wie
ein arrogantes, überhebliches Arschloch?
Anscheinend
lasse ich meinen Frust an ihr aus.
Was
absolut nicht okay ist.
Und
abgesehen davon hat sie Recht.
Ich
sehe zu ihr hoch und mir tut wirklich leid, was ich da grade gesagt
habe. Ich habe sie verletzt, das ist nicht zu übersehen.
''Ich
dachte, ich wär deine Assistentin! Ich hab jede Deadline, jeden
Produktionsablauf hier in meinem Kopf; ich weiß, wer wann wo was
braucht, damit deine Entwürfe in zwei Wochen über den Laufsteg
gehen ... aber dazu mußt du mich endlich offiziell zu deiner
Assistentin machen!''
Ich
starre sie an … und haue ab, lasse sie einfach stehen.
Nicht,
weil ich sauer auf sie bin.
Freilich,
ich bin es nicht gewohnt, daß man so mit mir spricht.
Normal
gebe ich sofort Kontra.
Aber
bei Martha ist das anders.
Ich
weiß nicht, wie sie es schafft, daß sie mich immer wieder zum
Nachdenken bringt.
Nicht
zuletzt denke ich darüber nach, was ich alles verliere, wenn ich
hinschmeiße, wie Martha so schön sagte.
Sie
hat mir klargemacht, daß ich mich gewissen … Regeln nicht
entziehen kann. Was aber nicht bedeutet, mich dafür komplett zu
verbiegen.
Ich
will diesen Job.
Und
ich will Martha als meine Assistentin.
Dann
sollte ich mich aber auch dafür einsetzen.
Und
genau das werde ich jetzt tun.
*******
Ich
treffe Graf Ansgar auf dem Klo.
Sage
ihm, daß ich meine Kollektion machen und in zwei Wochen bei der Show
dabei sein würde.
„Ich
kenn Typen wie Sie, Adam. Genial, aber unzuverlässig. Eigentlich
sind Sie ein unkalkulierbares Risiko.“
Du
glaubst gar nicht, wie egal es mir ist, was du von mir denkst.
„Aber
was soll's, ich bin ein Spieler. Und irgendwas sagt mir, daß Sie's
drauf haben.“
Schon
besser.
„Ich
seh Sie dann in meinem Büro.“
Und
da liegst du wieder falsch.
„Wenn
ich was mache, dann nur unter meinen Bedingungen. Ich arbeite, wo,
wie und wann ich will. Und Sie reden mir da nicht rein.“
Ebenso
genervt wie resigniert nickt er. „Wenn's alles ist ...“
Diese
Runde geht an mich.
„Eine
Sache noch!“
Und
jetzt gibst du mir Martha, mein Lieber.
Zwanzig
Minuten später halte ich Marthas neuen Arbeitsvertrag in meinen
Händen.
*******
So
leidenschaftlich wie Martha sich für ihre, für unsere gemeinsame
Arbeit engagiert hat, freue ich mich richtig darauf, ihr die gute
Nachricht sofort zu bringen.
Lächelnd
erscheine ich bei ihr. „Laß alles liegen. Du hast 'nen neuen Job.“
Rebecca
mag es freilich nicht glauben und muß es schwarz auf weiß lesen.
„Ersatz
ist unterwegs.“, beruhige ich sie. Sie wird nicht vor der Show ohne
Näherin dastehen.
Trotzdem
kann ich es mir nicht verkneifen, sie frech anzugrinsen.
"Martha
gehört ab jetzt zu mir."
4310
Martha
und ich sind draußen unterwegs, Ideen sammeln. Bewegung an der
frischen Luft pustet den Kopf durch, so kann ich am besten arbeiten.
Grade
fällt mir was ein und ich packe Martha von hinten bei den Schultern.
Ich
merke sofort, daß was nicht stimmt.
Wie
es aussieht, hat sie meine unerwartete Berührung an meinen Angriff
erinnert.
Und
da spricht sie es auch schon an.
"Martha,
bitte!"
Mir
wird flau, ich will nicht darüber reden.
Aber
sie bittet mich nur, mich nie wieder so an sie ranzuschleichen.
Das
verspreche ich gern; es tut mir leid, sie schon wieder geängstigt zu
haben.
Um
von diesem Thema wegzukommen, konzentriere ich mich wieder auf die
Arbeit.
„Paß
auf, diese Military-Sache, ja? Das ist irgendwie nicht das Richtige.
Was ich suche, ist was anderes … 'ne Mischung aus … aus sexy und
androgyn. Mehr Punk.“
„Punk?
Fell, Federn … Nieten! Cool.“
„Ja,
aber die Nieten sind Patronenhülsen. Leere Patronenhülsen.“
Nun,
wo Martha wieder in ihrem Element ist, ist sie wieder entspannt und
gut drauf.
Das
mit den Patronenhülsen notiert sie gleich begeistert.
Ich
starre sie versonnen an, während sie in ihr Notizbuch kritzelt.
Sie
ist schon 'ne Süße, so auf ihre Weise.
*******
Es
ist kalt. Ich setze mich dicht neben Martha, lege locker meinen Arm
um sie.
Und
widme mich vertrackten Details.
„Dieser
Kragen langweilt mich.“
„Wie
wär's mit einem roten Schottenmuster?“
Hab
ich so skeptisch geguckt, oder warum entschuldigt sie sich, als ob
sie was unheimlich Dämliches gesagt hätte?
Ich
fordere sie auf, ihre Ideen weiter sprudeln zu lassen; da kommt
sicher noch was.
Und
eigentlich hat sie es schon – Rot! Das ist es doch.
Aber
nicht irgendein Rot.
„Wir
brauchen einen Rotton. Wir brauchen ein grausames Rot. Etwas
Gewaltiges, Blutrünstiges, verstehst du?“
Natürlich
versteht sie mich.
Wir
diskutieren, ich skizziere, sie notiert … und wir albern rum,
lachen und haben mal wieder richtig Spaß.
So
mag ich das, deswegen wollte ich sie.
Weil
die Arbeit mit ihr nicht nur gute Früchte trägt, sondern eben auch
Spaß macht.
Dann
ruft ihre Tante an, es geht um ein Paket, das Martha für sie abholen
soll.
Für
Martha geht natürlich die Arbeit vor, aber ich sage ihr, daß wir
das Paket holen könnten, weil ich eh noch Bewegung brauche.
„Sag
mal, das mußt du nicht machen. Also, das ist echt total nett, aber …
das ist halt auch Familie. Du weißt schon … total nett … aber
eben Familie.“
„Jetzt
machst du mich richtig neugierig.“
*******
Dann
sind wir bei ihr zuhause.
Ihre
Tante begrüßt mich freundlich.
Martha
will gleich wieder los, sie ist schon an der Tür, als ihr Onkel nach
Hause kommt.
Er
bringt eine Kettensäge mit, die gleich meine Blicke auf sich zieht.
Während
Marthas Tante mich ihrem Mann vorstellt, sehe ich mir das Werkzeug,
das wohl Mucken hat, an.
Martha
winkt mir zu, aber ich hab's nicht eilig.
Ich
kenn mich ein bisschen mit Kettensägen aus, frage Marthas Onkel, wie
alt das Schwert sei und ob er Werkzeug habe.
Er
wundert sich, woher ich mich auskenne.
Für
eine meiner Shows haben die Models auf dem Laufsteg Schweinehälften
zersägt, erzähle ich ihm.
Er
findet das cool.
Und
Martha grinst sich einen.
*******
Bald
schon sind Thomas und ich emsig damit beschäftigt, das Maschinchen
wieder ans Laufen zu kriegen.
„Ich
dachte immer, wichtige Leute mit englischen Jobs machen sich die
Finger nicht schmutzig. … Warum bist'n du eigentlich Designer
geworden? Stehst du auf diesen ganzen Schicki-Micki da? Also, die
paar Male, die ich bei LCL war, dachte ich immer, ich bin im falschen
Film. Wie die da alle rumlaufen! Also, wer die Klamotten
trägt, der hat doch nicht alle Latten mehr am Zaun.“
Der
Mann gefällt mir.
„Bist
du mit denen etwa auf einer Wellenlänge?“
„Na
ja, ich mach auch Mode. Aber ich hab 'nen anderen Ansatz. Mir ist die
Haltung wichtig zu den Sachen, die du auf der Straße siehst. …
Also, die Dekadenz der Gesellschaft, Ausgrenzung von anderen
Menschen. Oder die Verschwendung von Ressourcen. Deswegen arbeite ich
zum Beispiel mit Materialien wie Plastik, Metall oder Holz.“
Beim
Wort Holz wird der Förster hellhörig.
Am
liebsten wäre er wohl gleich mit mir in den Wald gegangen.
Aber
Martha winkt schnell ab.
Reicht
ihrem Onkel das Öl, um das er sie bittet.
Und
ich kleckere es ihr über die Klamotten.
„Oh,
sorry.“
Ihre
Tollpatschigkeit wird doch nicht ansteckend sein?
*******
Eine
Weile später sind wir fertig, die Maschine läuft.
Ich
suche Martha.
Und
finde sie in ihrem Zimmer.
„Alles
okay?“
Sie
nickt.
„Kein
Wunder, daß du so gute Ideen hast. Kannst jeden Tag mit deinem Onkel
über Bäume und Motorsägen reden.“
„Nette
Leute.“, meine ich dann, weil mir ihre Familie wirklich sympathisch
ist.
„Ja.
… Na ja, du hast ja wahrscheinlich auch irgendwo Familie.“
„Meine
Eltern leben nicht mehr.“, erkläre ich.
„Oh
… das … das tut mir leid … das wußt' ich nicht.“
„Ist
okay.“
„Und
sind sie schon lange …?“
„Ich
rede nicht drüber.“
Ich
wünschte, ich wäre nicht auf Familie zu sprechen gekommen.
Diese
Unterhaltung nimmt eine sehr unangenehme, schmerzliche Wendung.
„Klar.
Kannst du aber, wenn du willst.“
"Du
bist meine Assistentin, nicht meine Therapeutin."
„Ja.
Klar.“ Sie nickt, zwingt sich zu einem Lächeln.
Ich
hab sie gekränkt, ganz klar.
Warum
bin ich so abweisend zu ihr? Sie meint es nur gut. Sie kann nicht
wissen, daß ich darüber nicht reden will, nicht reden kann.
Aber
ich mache aus Reflex einfach zu.
*******
Ich
stehe aus Marthas Sessel auf und gehe langsam zur Tür.
Es
herrscht ein beklommenes Schweigen.
„Juri
... es tut mir leid. Also, daß ich eben … dich über deine Familie
ausgefragt habe, obwohl du überhaupt nicht darüber reden willst.
Ich … ich weiß das. Aber mir hilft reden, deswegen dacht' ich …
hach, jetzt mach ich das schon wieder … ich laber dich voll, obwohl
du überhaupt keinen Bock drauf hast … das ist … es tut mir total
leid!“
„Hör
doch mal auf, dich ständig zu entschuldigen.“
„Aber
...“
„Laß
es einfach!“
„Was?“
Sie
versteht mich nicht. Aber ich weiß, warum.
„Du
versuchst, immer alles so perfekt zu machen. Ich bin der Meinung, man
sollte sich mindestens einmal im Monat so richtig schön blamieren.“
„Da
komm ich locker drüber. … Was ist so toll daran, wenn man von
einem Fettnapf in den nächsten latscht?“
Berechtigte
Frage.
„Das
ermöglicht die Kreativität. … Was ist unser größter Feind? …
Perfektion. Das Perfekte tötet alles.“
„Unperfekt
kann ich.“, strahlt sie.
„Bist
du auf meiner Seite?“
Sie
nickt.
Fein.
Sie
soll einfach so bleiben, wie sie ist. So ist sie gerade richtig für
mich.
*******
Dann
trennen wir uns.
Martha
geht zu LCL, um meine Entwürfe in die Tat umzusetzen.
Ich
laufe noch ein wenig draußen rum und geh dann auf einen Sprung ins
No Limits.
Dort
treffe ich eines unserer Models und wir werden gleich warm
miteinander. Ziemlich warm.
Ich
rufe Martha an und frage sie, ob sie mir meine Entwürfe zuhause
vorbei bringen kann. Ein Zweitschlüssel für meine Wohnung läge auf
meinem Tisch. Und ob sie vielleicht noch eine Flasche Champagner
besorgen könne.
Natürlich
macht sie das, die Gute.
Und
weil ich mich auf Martha, meinen guten Geist, verlassen kann, hab ich
den Kopf frei für andere Dinge.
Mich
von der Kleinen hier scharf machen zu lassen, zum Beispiel.
*******
Dann
sind wir bei mir zuhause.
Die
Kleine ist echt heiß.
Und
sieht in ihrem knappen, luftigen Kleidchen zum Anbeißen aus.
Wir
halten uns nicht lange mit Förmlichkeiten auf.
Ziehen
uns lieber gleich auf's Bett zurück.
Zeit
für ein Schlückchen muß sein.
Aber
dann sind wir auch schon halb ausgezogen und küssen uns
leidenschaftlich.
Gerade
will ich mich anschicken, ihren schönen Körper von oben bis unten
mit meinen Lippen zu erforschen, als ich aus dem Augenwinkel eine
Bewegung bemerke.
Eine
Person kraucht zur Tür.
„Martha?
Was genau machst du da?“